Muttersprachliches Niedersorbisch

Informationen

“Muttersprachliches Niedersorbisch”

In den Jahren um 1950 fand in der Niederlausitz ein schon lange zuvor begonnener Prozess seinen Abschluss: der Sprachwechsel von Niedersorbisch/Wendisch zum Deutschen als Alltagsprache in ursprünglich sorbischsprachigen Familien.

Dadurch bedingt sind diejenigen Sprecher des Niedersorbischen, die diese Sprache noch in der Familie als Erstsprache (Muttersprache) erlernt haben, heute in der Regel mindestens um die 70 Jahre alt. Das Niedersorbisch dieser Sprechergeneration unterscheidet sich – von einzelnen Ausnahmen abgesehen – stark von Varianten jüngerer Sprecher, die das Niedersorbische überwiegend im Rahmen des schulischen Sprachunterrichts und damit primär als “Fremdsprache” erworben haben.

Diese spezifische Sprachsituation ist Grundlage für die hier verwendete Kennzeichung “muttersprachliches Niedersorbisch”. Dieser Begriff nimmt Bezug auf eine von allen anderen Unterschieden abstrahierende Gemeinsamkeit der Sprache der oben genannten ältesten Sprechergeneration: den Erwerb des in der Regel stark dialektal geprägten Niedersorbischen/Wendischen in der Familie.

Das Projekt

VolkswagenStiftung logo

Im Rahmen der Förderinitiative “Dokumentation bedrohter Sprachen” hat die Volkswagen-Stiftung von Oktober 2010 bis Ende 2015 am Sorbischen Institut (Zweigstelle Cottbus) ein Forschungsprojekt unter dem Titel “Text- und Audiokorpus des muttersprachlichen (dialektalen) Niedersorbischen“ gefördert.

In dem Vorhaben wurden in den Jahren 2012 bis 2015 insgesamt über einhundert Stunden Gespräche mit etwa siebzig Sprecherinnen und Sprechern des dialektalen Niedersorbischen (Wendischen) aufgenommen. Dabei wurde das gesamte Sprachgebiet berücksichtigt – eine Karte der Aufnahmeorte findet sich unter „Aufnahmen“.

Von großem Nutzen ist, dass für sämtliche Aufnahmen eine niedersorbische Transkription sowie deren Übersetzung ins Deutsche angefertigt wurden. So sind die Tondokumente auch über die Schriftform (niedersorbisch wie deutsch) zugänglich. Damit bilden die etwa 700 000 laufende Wortformen (Tokens) umfassenden Transkriptionen ein einzigartiges Ergänzungskorpus des gesprochenen dialektalen Niedersorbischen zum schriftsprachlichen Textkorpus.

Das Text- und Audiokorpus des muttersprachlichen (dialektalen) Niedersorbischen, das hier unter dem Titel „muttersprachliches Niedersorbisch“ bereitgestellt wird, ist von hohem dokumentarischem Wert und bildet eine gute Grundlage für weitere Forschungen nicht nur zu den Dialekten selbst, sondern auch mit Blick auf einen Vergleich mit der niedersorbischen Schriftsprache.

Das Projekt wurde in einem relativ frühen Stadium beschrieben in:
Hauke Bartels & Kamil Thorquindt-Stumpf: Ein neues Ton- und Textarchiv des muttersprachlich-dialektalen Niedersorbischen. In: Lětopis 60 (2013) 1, S. 39-60.
Eine weitere Veröffentlichung mit abschließender Projektdokumentation ist geplant.

Am Sorbischen Institut haben am Vorhaben mitgewirkt:
Dr. Hauke Bartels (Gesamtleitung), Kamil Thorquint-Stumpf (Mitarbeit und Koordination bis September 2013), Marcin Szczepański (Technik und Datenbearbeitung; Koordination seit Oktober 2013), Jan Meschkank, Colett Neumann (Studentische Hilfskraft, deutsche Übersetzung der Transkriptionen).
Für einen kleinen Teil der Aufnahmen wurden außerdem eine englische Übersetzung der Transkriptionen (Dr. Katherine Bird) und eine phonetische Transkription (Dr. Leszek Jocz) angefertigt.

An der Erstellung der Sprachaufnahmen waren weitere Personen (Exploratoren) beteiligt, ohne die das Vorhaben nicht hätte realisiert werden können: Maria Elikowska-Winkler, Gregor Wieczorek, Stefanie Krautz, Juliana Kaulfürst, Marcus Koinzer und Christina Kliem. Wir danken auch allen Informanten, die bereit waren, in den Gesprächen aus ihrem Leben zu erzählen.

In den Transkripten sind die Äußerungen der Informanten durch die schwarze Textfarbe von denen der Exploratoren (grau) unterscheidbar. Auch bei der Suche ist dieser wichtige Rollenunterschied berücksichtigt.

Einbeziehung von Aufnahmen aus der Mittellausitz

Während der Projektlaufzeit wurden wegen der starken Bedrohungslage der sorbischen Sprache in der Mittellausitz (überwiegend sogenanntes “Schleifer Sorbisch”) Aufnahmen aus diesem Gebiet in die Maßnahme mit einbezogen. Etwa zehn Prozent der Tonaufnahmen stammen aus dieser Region. Bei der Suche können diese Aufnahmen/Transkriptionen gezielt ausgewählt oder auch übergangen werden.

Diese Daten repräsentieren nicht die niedersorbische Sprache. Die dringende Notwendigkeit einer Dokumentation auch dieser Varietät des Sorbischen rechtfertigte jedoch aus unserer Sicht nicht nur die Einbeziehung in das Projekt, sondern auch die Präsentation der Daten auf dieser Seite.

The Language Archive

Der primäre Speicherort der Aufnahmen (auch im Sinne einer sicheren Langzeitarchivierung) ist im “The Language Archive”, wo sie als Teil des DoBeS-Achivs unter dem Namen “Lower Sorbian” zugänglich sind.